Balázs Bodó: Die Kulturindustrien können von den Filesharing-Communities lernen

Der Ökonom Balázs Bodó untersucht Filesharing-Netzwerke und sogenannte Schattenbibliotheken. Digitale Piraterie sieht er als den „großen, bösen, kommunistischen Wolf“, der Kulturindustrien und Politik zum Umdenken gezwungen hat. Von den Methoden und Regeln der Filesharing-Communities jedoch können Rechteinhaber und Urheber lernen, meint Body im Interview, das ich mit ihm für iRights.info führte (veröffentlicht unter CC BY-ND).

Foto (Ausschnitt): CC BY-SA Jonathan Lin
Foto (Ausschnitt): CC BY-SA Jonathan Lin

iRights.info: Warum forschen Sie über Piraterie, was reizt Sie am Thema?

Balázs Bodó: Mich interessiert, was in diesem dunklen Untergrund passiert, was man jenseits der Legalität an Methoden oder Systemen vorfindet. Was ich heraus bekam, war zumindest für mich hoch interessant. Beispielsweise, was über Piraterie offiziell gesagt wird – und was man dann tatsächlich bestraft.

Balázs Bodó ist Ökonom und forscht über Piraterie. Seit 2013 ist er Marie-Curie-Fellow am Institut für Informationsrecht (IViR) der Universität Amsterdam.
Balázs Bodó ist Ökonom und forscht über Piraterie. Seit 2013 ist er Marie-Curie-Fellow am Institut für Informationsrecht (IViR) der Universität Amsterdam.

Zudem wollte ich verstehen, wie sich Teilnehmer und Nutzer solcher Netzwerke verhalten, wenn sie auf technischem Wege verfolgt und kontrolliert werden, weil sie etwas Illegales taten. Wie man weiß, hören sie nicht auf, sondern tauchen ab und machen im Untergrund einfach weiter. Denn ihr Ziel ist es, den Zugang zu verknappten oder weggesperrten Inhalten zu ermöglichen und dafür probieren sie immer wieder neue Wege aus.

Dabei handelt sich um globale Phänomene. Zuletzt habe ich mich mit Schattenbibliotheken befasst, die es weltweit gibt und sie alle wollen Zugang zum akademischen Wissen ermöglichen. Das Problem versperrter Zugänge kennen westliche Staaten, wenn beispielsweise Universitäten nicht an kommerzialisierte Wissensdatenbanken herankommen, weil ihnen die Mittel fehlen. Und in den Entwicklungsländern haben Bildungseinrichtungen und Bürger das Problem, sich die teuren gedruckten Ausgaben oder auch digitale Ausgaben wissenschaftlicher Werke zu beschaffen.

Es gab und gibt ja immer wieder Ansätze, sich mit diesem Problem zu befassen, und das ja schon seit 10 bis 15 Jahren. Viele internationale Konferenzen zum Wissenszugang behandelten dieses Thema, auch in der Welturheberrechtsorganisation WIPO und in zahlreichen internationalen Organisationen arbeiten viele Menschen daran, rechtliche Regelungen zu entwickeln, die den Zugang zu Wissen erleichtern.

Oder nehmen Sie all die Hacker, die sich – mal auf legale, mal auf illegale Weise – daran auf sehr unterschiedliche Weise abgearbeitet haben. Die illegalen, im Verborgenen arbeitenden Hacker sind natürlich nicht so gut auszumachen, doch auch sie bringen etwas zustande, dass am Ende irgendwie funktioniert. Und genau das interessiert mich: Welche Systematiken und technologischen Lösungen haben sie entwickelt? Was kann man von ihnen lernen, um die genannten Probleme zu lösen?

Jedes technisch-soziale System braucht Normen und Regeln. Aber die Frage ist, welche Normen und Regeln die besten sind. Mich interessieren dabei weniger die technischen Lösungen als vielmehr alle Arten von Communities, die sich dabei entwickeln und wie sie vorgehen – beispielsweise unter Akademikern, die Zugang zu Wissensbeständen und aktueller Forschung benötigen; oder Filmemacher, die Zugang zum Markt benötigen.

Hier fällt mir das Beispiel des ungarischen Filmemachers György Pálfi ein. Vor einigen Jahren hat die ungarische Regierung die Filmförderung praktisch komplett zusammengestrichen. Pálfi überlegte, wie er fortan seine Drehbuchentwicklung finanzieren könnte. Er schrieb ein Drehbuch und holte sich sämtliche Einstellungen und Szenen aus dem Internet, von Torrent-Netzwerken und so weiter. Hunderte kurzer Szenen, die aus vorhandenen Filmen aus aller Welt stammten. Aus all diesen kurzen Schnipseln hat er den 90-minütigen Film „Final Cut“ als Collage zusammengeschnitten. Er hat für diesen Film praktisch kein einziges Mal eine Kamera in die Hand genommen, hatte kein eigenes Material. Er saß nur im Schneideraum, schnitt und montierte. Das Ergebnis ist sagenhaft, es ist ein fantastischer Film.

Natürlich hat Pálfi keine Chance, den Film irgendwie zu vertreiben, ohne zuvor sämtliche Rechte zu klären, also kann er ihn eigentlich nirgends zeigen, das ist sein Problem. So wählte er eines dieser Untergrund-Netzwerke. Um Zuschauer für sein Werk zu finden, musste er auf den Schwarzmarkt gehen.

iRights.info: Wollte Pálfi die Botschaft verbreiten, dass ungarische Filmemacher mangels Finanzierungsmöglichkeiten gezwungen sind, mit Fremdmaterial zu arbeiten?

Balázs Bodó: Nein, er versteht sich vor allem als Künstler und will, dass die Menschen sein Kunstwerk sehen. Aber es gab dafür keinen legalen Weg. Die Autoren von Fan Fiction haben ein ähnliches Problem und vielen weiteren Künstlern geht es genauso. Doch im Untergrund zeigt sich, dass es für ihre Werke einen Bedarf gibt. Also bilden sich dort neue Verteilmethoden, genau diese interessieren mich.

iRights.info: Was haben Filesharing und Piraterieplattformen bewirkt?

Balázs Bodó: Ich lese gerade ein Buch des Historikers Eric Hobsbawm, „Das Zeitalter der Extreme“. Darin schreibt er, dass die Existenz und das Aufkommen der Bolschewiki in Russland die Bedingung war, unter der sozialdemokratische Parteien in der Nachkriegszeit erfolgreich sein konnten. Seiner Ansicht nach brauchte es einen solchen großen, bösen Wolf, damit die westlichen Gesellschaften zu Zugeständnissen gegenüber den unteren Klassen, der Arbeiterklasse und der Mittelschicht bereit waren. Die Kommunisten sorgten sozusagen dafür, dass sich westliche, kapitalistische Staaten milder verhielten.

Ebenso betrachte ich das Fortbestehen der Piraterie über die vergangenen Jahre. Sie sind der große, böse, kommunistische Wolf, der sich den kapitalistischen Kulturindustrien in den Weg stellt und sie zwingt, ihre Haltung zu ändern. Nur deshalb kam es zu so etwas wie Spotify – etwas, was noch kurz vorher als vollkommen undenkbar galt. Am Ende drängten sie die Nachfrage nach illegalen Angeboten zurück – und das zunächst mit Verteilungsmethoden wie dem Streaming mit Peer-to-Peer-Techniken, die durch Piraterie popularisiert wurde.

Es hat sich also gezeigt, dass man die illegalen Netzwerke nicht mit Verboten und Strafen zurückdrängen konnte, das hilft ja sowieso nie, sondern verbraucht nur unnötig Ressourcen. Viel effektiver war es, sich dem Wettbewerb mit ihnen zu stellen.

iRights.info: Hat die digitale Piraterie auch in der europäischen Politik Wirkung gezeitigt?

Balázs Bodó: Na, klar, nehmen Sie nur das Geoblocking und die Frage der Portabilität von urheberrechtlich geschützten Werken, den Ruf nach einem einheitlichen europäischen Markt oder die Regulierungen zu den Verwertungsgesellschaften. All diese Themen kamen hoch, weil man in Brüssel merkte, dass man mit urheberrechtlich begründeten Verboten und Sanktionen nicht mehr weiterkam.

Die Piraterie-Netzwerke (und auch die Piraten-Parteien) haben die Politik also praktisch desillusioniert und zum Umdenken gebracht. Zwar kann man derzeit beobachten, dass Filesharing-Netzwerke an Zuspruch und Bedeutung einbüßen, aber das ist eigentlich ein gutes Zeichen: Es bedeutet ja, dass man sie immer weniger braucht, weil die Märkte nun besser auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen.

iRights.info: Was folgt für Sie praktisch aus Ihrer Forschung?

Balázs Bodó: Mein nächstes Ziel ist eigentlich, an die Rechteinhaber heranzutreten und Ihnen die Verteilungsmethoden der Piraten näher zu bringen, ihnen diese zu lehren, wenn Sie so wollen. In den vergangenen Jahren ging es mir immer um die Nutzer, die entweder als böse oder als uninformiert betrachtet wurden, wenn sie Urheberrechte verletzten. Darauf reagierten die Rechteinhaber mit drastischen Maßnahmen und hohen Strafen, zugleich wollten sie die Nutzer belehren, um ihnen klar zu machen, dass sie sich wie Diebe verhalten.

Meiner Meinung nach ist Bildung für Urheber und Rechteinhaber ebenso nötig wie für Nutzer – wenn ich zum Beispiel sehe, wie leichtfertig Künstler Verträge unterschreiben, die ihnen kaum mehr Rechte übrig lassen. Zugleich richte ich mich an die großen Kulturindustrien, etwa Plattenfirmen oder Verlage, auch hier gibt es viel Aufklärungsbedarf, ebenso bei einzelnen Urhebern, Buchläden und vielen anderen. Sie alle können von den Methoden und Regeln der Filesharing-Netzwerke lernen, finde ich. Viele wissen einfach nicht, welche Möglichkeiten es in den Netzwerken gibt und sie sind sehr stark von Angst und Unkenntnis getrieben. Angst und Unkenntnis sind niemals gute Ratgeber.

Das Interview entstand am Rande der Tagung „Towards an Ethics of Copying“, die kürzlich am Zentrum für interdisziplinäre Forschung Bielefeld stattfand.


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