Ein Kongress wie ein Aufputschmittel

Die 2. BuchDigitale (am 14.9. in Berlin) hatte als „Forum für Neues Publizieren“ offenbar gar nicht erst vor, der rund 170-köpfigen Verlags-Community nur reinen Wein prekärer Lagen einzuschenken. Vielmehr servierte sie starken Kaffee der Marke „Umbruch“, zum Wachwerden ebenso wie zum Durchmachen: denn der Weg nach „Digitalien“ wird für viele kein leichter sein.

Das dürfte so manchen der rund 170 Verlags- und Buchbranchen-Manager gleich am frühen Morgen gut in die Glieder gefahren sein: „Es besteht die grosse Gefahr, dass Sie ‘ge-ituned‘ werden“, warnte Christoph Maire in seiner morgendlichen „Keynote“ eindringlich, denn dadurch drohe dreifacher Kontrollverlust: „Die Musikindustrie verlor bei Apples iTunes die Hoheit über die Preise, über die Veröffentlichung und über den Kundenkontakt“, so Maire. Doch gerade letzteres, also die kontinuierliche Beziehung zu Interessenten, Käufern und Nutzern, werde in einer digitalisierten Handelswelt mehr und mehr zum entscheidenden Überlebens-Faktor, nicht nur, aber auch für Buch-Verlage. Gewiss, diese digitale Handelswelt mischt Maire selbst ordentlich auf, mit der von ihm gegründeten und geführten txtr GmbH. Das junge Berliner Unternehmen etabliert sich derzeit in hohem Tempo als Kooperations- und Vertriebspartner für elektronische Bücher (e-Books) und digitales Publizieren: ein primär technischer Dienstleister, der verlegerische Inhalte für die unterschiedlichsten Plattformen und Geräte aufbereitet – von iPhone und iPad über Mobiltelefone und PC‘s bis hin zu den gängigen E-Book-Lesegeräten (Reader) sowie einem selbstentwickelten „txtr Reader“ – und der diese e-Produkte zudem in die digitalen Verkaufskanäle und Online-Shops hinein vertreibt. Ein rasant wachsender Markt.

Kein Wunder also, dass Maire den Verlagen mehrfach anriet, ihre Produkte möglichst schnell und möglichst vielfältig digital verfügbar zu machen – er könnte und möchte gewiss unmittelbar davon profitieren. Gleichwohl legte der erfahrene und Web-affine Geschäftsmann Maire mit seinen weiteren Ratschlägen so etwas wie rote Fäden aus, die im Verlauf des eintägigen, am Dienstag in Berlin durchgeführten Fach-Forums „Buch Digitale“ immer wieder aufgegriffen wurden: Einfache Verfügbarkeit auf möglichst vielen Plattformen; verbraucherfreundliche Preise und „one-click-Transaktionen“ bei der Bezahlung; aktive Ein-/Bindung von Lesern und Nutzern mit Hilfe sozialer Netzwerke; Experimente mit Preisen, kostenlosen Leseproben und temporär freien Zugängen; und immer offen sein für neue Ideen. Was unter derlei „neuen Ideen“ zu verstehen sein könnte, verrieten sogleich die ihm nachfolgenden Hauptredner.

Open Access und das Problem des „letzten Klicks“

„Die Monographie ist eine aussterbende Spezies“, konstatierte sogleich Frances Pinter von „Bloomsberry Academic Publishing“. Und zeigte eine Statistik, nach der die Verkäufe klassischer Fachtitel in 30 Jahren auf ein Zehntel sanken, von durchschnittlich 3000 Stück im Jahre 1980 auf rund 300 im Jahr 2010. Drucken lohne sich da ebenso wenig wie die intensive Arbeit mit den Content-Lieferanten aus der Wissenschaft, welche sich über die Netze ohnehin mehr und mehr selbst austauschen, auch publizistisch. „Wir sind als Verleger nicht mehr die hehren ‘Gate-Keeper‘ sondern im Service-Geschäft, erkannte die erfahrene Verlagsmanagerin nüchtern. Und sie plädierte unmissverständlich für die Bereitstellung wissenschaftlicher Publikationen als kostenlose „Open Access“-Ware, zumindest in einer Art Basis-Version. Für Umsätze würden dann auf die Kostenlos-Titel draufgesattelte Service-Leistungen und Zusatzinhalte sorgen: Premium-Content. Genau das funktioniere im Hause Bloomsberry Academic schon recht gut, so Pinter. Die anwesende Verlags-Community schwieg eisig.

Einen nicht minder radikalen Ansatz schlug der dritte Keynote-Redner mit den so genannten „micro-chunk-transactions“ vor. Es gäbe doch gewiss eine Vielzahl von Büchern, gerade bei Fach- und Sachbüchern, deren Inhalte sich in kleine, ja kleinste Pakete zerteilen liessen, so Rob Kniaz. Der Ex-Google-Mitabeiter ist derzeit als Venture Capital Manager ein Scout und Berater für aussichtsreiche Geschäftsideen im digitalen Mediengeschäft. Bei vielen Verlagen, so Kniaz, gäbe es im Web das Problem des „letzten Klicks“: Trotz ihres vitalen Interesses an elektronischen Büchern würden sich (zu) viele Verbraucher noch der finalen Kauf-Transaktion verweigern, und das hätte zwei Gründe: Zu hohe Stück-Preise und beschränkte Einsatzmöglichkeiten. Einmal gekaufter „Digital-Content“ müsse jedoch auf PCs ebenso nutzbar sein wie auf Mobilgeräten – ob Smartfon, Tablets oder E-Book-Readern – und das ohne dafür mehrfach zur Kasse gebeten zu werden.

Und weil digitale Güter für mobile Geräte erfahrungsgemäß immer dann gut liefen, wenn die Preise gering seien – etwa bei Musik, Klingeltönen, Spielen und MiniProgrammen (Apps) – wäre es auch für die Buchbranche Erfolg versprechend, die Inhalte auf kleine Einheiten herunter zu brechen: Kapitel, Abschnitte, einzelne Beiträge oder auch Illustrationen, Infografiken, Fotos. Kleine Produkte, kleine Margen – aber die Masse würde es machen. Mehr noch: „Jede kleine Inhalts-Einheit mag für sich wenig Umsatz bedeuten, doch mit jedem dieser Umsätze ist ein Kundenkontakt verbunden“, sagte mir Rob Kniaz in einem Kurzgespräch: „Jedes Stück Inhalt birgt die Chance, auf all die anderen, zugehörigen Produkte aufmerksam zu machen. Das ist ungemein wertvoll – wenn man es zu nutzen weiss.“

„Beziehungsarbeit mit den Kunden“: Kostenlos generiert Aufmerksamkeit, Vertrauen und Leistung generieren Umsätze

Angesichts solcher Aussichten auf nicht weniger als einen totalen Umbau gewohnter Geschäftigkeiten für das irgendwie immer noch fremde „Digitalien“ schnappte so mancher Verlagsmensch erstmal nach analoger Luft: „Wir bieten schon länger elektronische Versionen unserer Titel an, doch die Kunden kaufen lieber das gedruckte Buch“, gab ein Fachverlagsvertreter in einer der nachfolgenden zehn Workshop-Runden zu verstehen. Und liess sich bestärken von Grafikdesignern, die von der „Haptik“ von Papier und Einband schwärmten. Anfassen und fühlen sei quasi das Zünglein an der Kaufentscheidungs-Waage sei. „Das fällt unter Kunst“, entgegneten darauf brutalst trocken die zwei Wissenschaftlerinnen Jana Steinmetz und Sabine Pfefferer, die an einem der runden Tische ihre zehn studienbasierten „Thesen für die Zukunft des Buch-Verlegens“ vorstellten.

Die Buch- und Druckkunst als Kunst des Verpackens, so die Forscherinnen, bleibe uns gewiss erhalten, aber eher als Luxus-Segment. Für die Massenmärkte viel wichtiger werden hingegen die mobile Verfügbarkeit und die unmittelbare Vernetzung der Leser, um das Lesen zu einer gemeinsamen Sache zu machen: Passagen hervorheben und kommentieren, dieses dann verlinken und versenden, so liessen sich Erkenntnisse teilen, Lesespass mitteilen, Meinungen verteilen und Interpretationen diskutieren. Das mag kurzatmig und kleinteilig sein, doch dafür schnell und „viral“. Mithin „nachhaltig rückkoppelnd“, nicht zuletzt auf die weiteren Produkte des Verlages, siehe Rob Kniaz. „Beziehungsarbeit mit den Kunden“, nannte es der Workshop-Referent Jens Klingelhöfer von der Firma Bookwire, und schob in seiner Präsentation noch einen Merksatz hinterher: „Kostenlos generiert Aufmerksamkeit, Vertrauen und Leistung generieren Umsätze.“

In diesem Stil ging es auf der BuchDigitale munter weiter mit der Fragmentierung von tradierten Gewohnheiten, vermeintlichen Gewissheiten und lieb gewonnen Paradigmen der Buchbranche.
– Buchpreisbindung? – Dieses „Relikt“ sei kaum noch zu halten, wenn die Werke in digitale Kleingüter zerteilt seien, hiess es. Stattdessen ermögliche die Fragmentierung von Fach- und Sachbüchern neue Arten des (Re-)Bundlings und der Rabattierung bei Komplettabnahme, wie auch De-Luxe-Margen bei De-Luxe-Ausgaben, wenn sie wertvoll verpackt und „gebrandet“ würden.
– Kopierschutz? – Durchaus, doch am besten bei niedrigen Klein-Stück-Preisen, weil damit Piraterie obsolet werde, sie lohne sich dann kaum, so Christoph Maire.
– Multimedia? – Gut und schön, sei aber längst kein Allheilmittel mehr für gesteigerte Abverkäufe. Die Integration interaktiver Elemente hingegen und die Einbindung der Inhalte in die sozialen Netzwerke seien schon eher Wettbewerbsfaktoren.

Was die Zerstückelung oder auch Filetierung von geeigneten Titeln betraf, blieb die BuchDigitale übrigens nicht das evidente Fallbeispiel schuldig, im Gegenteil: Ist doch der Veranstalter dieses zum zweiten mal durchgeführten Kongresses die Firma PaperC. Selbst Startup seit gut zwei Jahren, betreibt PaperC ein Fachbuch-Portal mit zwei innovativen Merkmalen: Erstens lässt sich jedes enthaltene Buch online lesen, und zwar komplett und komplett kostenlos. Zweitens muss der Nutzer jedoch für das Markieren, Kopieren oder Drucken von Texten bezahlen, und zwar 10 Cent pro Seite, pro jeder Seite. Mit diesem Prinzip und Geschäftsmodell adressiert PaperC zuerst den studentischen und wissenschaftlichen Kopierer-Markt, durchaus mit steigenden Zuspruch. Seit Start des Dienstes im Jahr 2008 stiegen Titel-, Nutzer- und Seitenverkaufszahlen – zwar nicht exponential, aber kontinuierlich. Ob sich für beteiligte Verlage die Umgehung von Druckerei und Buchhandel bei gleichzeitigem Einsammeln von Cent-Beträgen wirklich rechnet, beziehungsweise ab welchen Grössenordnungen, diese Gretchen-Frage blieb unbeantwortet. PaperC, in der Rolle des Veranstalters , enthielt sich sehr vornehm der Selbstdarstellung. Doch als strategisches Konzept durchzog die „Content-Atomisierung“ den Kongress ganz gewiss, und das konnte den PaperC-Strategen nur recht sein. Verliehen sie doch so dem „digitales Publizieren“ neue Impulse, und wurden daher, im günstigsten Fall, als eine „treibende Kraft“ wahrgenommen.

In der Branche etablieren sich bereits Super-Aggregatoren

Indes: Neu ist das „digitale Publizieren“ für Verlage ja nun wirklich nicht, eher seit 15 Jahren eine Art Dauer-Meta-Thema. Doch bei vielen scheint der fast ebenso lange in die Branche hallende Ruf nach Umbau erst jetzt richtig anzukommen. In gewisser Weise verständlich, denn nicht nur die Warenwirtschaftssysteme und die Vertriebsstrukturen gilt es umzustellen, auch das Marketing, die Promotion, und – für viele neu – das Kundenbeziehungsmanagement. Das kostet, Zeit, Kraft und Geld. Abomodelle, „Premium“-Zugänge, Micropayment, kleinteiliges, aber virales Empfehlungs-Marketing in sozialen Netzwerken, vieles davon fällt heute nicht nur unter „experimentieren“, sondern zugleich unter „unverzichtbar“. Intressanterweise liess das Publikum der BuchDigitale angesichts dieser Aussichten auf die eigene Komplettsanierung kaum so etwas wie Gegenwehr erkennen, allenfalls eine Art „einsichtige Ratlosigkeit“: Ist ja alles richtig und notwendig, aber wer soll‘s bezahlen?

Im Grunde aber nickte der Kongress die Paradigmenwechsel für die gesamte Branche als alternativlos ab. Geseufzt wurde auch, doch es war ein gefasstes Seufzen, die Mühen eines beschwerlichen Weges im Visier, den Existenzängsten trotzend. Auch wurde in den ebenso zahlreichen wie diskussionsfreudigen Workshops deutlich, dass um die mal mehr und mal weniger kaninchenhaft starren Verlage herum nicht nur vermeintliche „Schlangen“ namens Apple, Google, Amazon oder Facebook zischeln. Stattdessen ergreifen, wie zu besten (Internet-)Gründerzeiten, kleine und mittlere Startup-Unternehmen die Chance, einen Part im digitalen „Content“-Geschäft zu übernehmen oder ganze „Claims“ abzustecken. Etwa als Aggregatoren, die Technik, Knowhow und Schnelligkeit für‘s digitale wirtschaften bieten, wie Maires txtr GmbH, textunes, Bookwire und andere. Mehr noch: schon jetzt gehe der Trend zu so genannten „Super-Aggregatoren“, die als Generaldienstleister alle Prozess-Schritte des Digitalisierens, Vertreibens, Vermarktens und des Verkaufens übernehmen, die abrechnen und alle Transaktionen erfassen, ja, womöglich sogar die Kontakte steuern. Sich von solchen Allroundern am Ende nicht „iTunisieren“ zu lassen, sollte den Besuchern der BuchDigitale ja hinreichend klar geworden sein.

Fazit

Insgesamt zeigte sich die BuchDigitale 2010 als eine gut aufgestellte Veranstaltung. Professionell organisiert und durchgeführt, inhaltlich sehr nah am Zielpublikum, also an den Buch-Verlagen und ihrer momentanen Situation. Mit ihrem Verzicht auf Lamento und Blues, mit ihrem Fokus auf Geschäftsmodelle samt Tragfähigkeits-Prüfung, auf Antworten und Handlungs-Anleitungen, atmete sie Frische und Aufbruch. Mehr noch: verglichen mit so manchen Selbstbemitleidungs-Chorälen ähnlicher Events wirkte sie wie ein Aufputschmittel, das seine ermunternde Wirkung nicht verfehlen sollte.

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