Good Vibrations in orange

Wer den Blues hat, sollte es mal mit Recycling probieren. Im Ernst.

In Berlin gibt es diese Recyclinghöfe der öffentlichen Stadtreinigung. Sie sind die Orte für (fast) alle Müll-Fälle. Auf einem riesigen Platz stehen dort Container für Leichtverpackungen und Plastik, Papier und Pappe, Altholz und Altmetall, Elektroschrott und alte Möbel, kurzum: Sperrmüll, wie er im Buche, oder besser, wie er im Keller steht.

Naja, wie er den Keller verstopft, besser gesagt. Jedenfalls war es bei mir so, es galt einen über zehn Jahre restlos vollgepackten Kellerraum zu räumen, weil mir die neuen Vermieter einen neuen zuwiesen. Das innerliche Fluchen über diese Verfügung hab‘ ich nach wenigen Tagen zu einem Segen umgemünzt: Endlich ausmisten!

Ich war gründlich, ja, doch: Bretter, Leisten, Reste von Rohren, vergammelte Teppichreste – alles muss raus. Rein in den Kombi, eine Tour, zweite Tour, noch ‘ne Tour. Den völlig vermoderten Mini-Holztisch, dem die Kinder eh‘ längst entwachsen sind: Krach, in den Container! Mehrere Eimer vertrockneter Altfarben – rumms, in den Entsorgungs-Drahtverhau! Ganze Jahrgänge alter Zeitschriften – yahoo, hinfort damit!

Und mit jedem mal bei den Orangenen (die Farbe der Stadtreinigung) sah ich es nicht nur deutlicher, ich spürte es förmlich: Dieses kollektive Gefühl der Erleichterung. In Berlin ist man an solchen Orten ja nie allein, selbst wenn man Dienstags früh um 7.30 Uhr entsorgt. Immer hatte ich neben mir reihenweise Handwerker und Frauen (in der Woche) oder Männer und Männer (Sonnabend vormittags). Und praktisch alle zeigten dieses feine Lächeln. Gut, man musste schon genau hinsehen, nach den Stöhnern der Anstrengung, die es erfordert, ein klobiges Altmöbel aus dem Laderaum zu wuchten, und dem Seufzer der Erleichterung, von dem Teil nicht mit in den Schacht gezogen worden zu sein. Doch sie war zu erkennen, diese unverfälschte, von ganz tief innen kommende, wohlige Glückseligkeit.

Klar, es gibt auch hier Routiniers, die scheinbar jede Woche recyclen, die machen eine betont lässige Mine, so etwa im Stil der unvermeidlichen Aufguss-Profis, denen man in jeder Sauna begegnet. Doch die meisten Normal-Recycler können den Sieg über innere Schweinehunde und Aufschieberitis sichtlich geniessen, denn sie haben schliesslich – für‘s erste – das „irgendwann-kann-ich-das-mal-gebrauchen“-Syndrom überwunden, welches bekanntlich als erstes Warnzeichen auf dem Weg zum Messi gilt.

Überhaupt die Messis. Die sind natürlich die wahren Könige der Recyclinghöfe. Also nicht die, die hier vermeintlich Brauchbares aus den Containers rausfischen um es zu Hause zu horten. Nein, natürlich die Ex-Messis, die mit einem Lieferwagen oder noch größerem Gerät kommen und ganze Tonnen-Ladungen wegschmeissen, um vor den Augen der anderen ihren Radikalentzug zu zelebrieren und auf der nach oben offenen Erleichterungs-Skala absolute Höchstwerte … OK, OK, das war jetzt gesponnen, eine solche (inszenierte) Messi-Exorzierung habe ich mal im Privatfernsehen, aber noch nie bei den Orangen live gesehen. (Wär‘ aber bestimmt beeindruckend).

Die üblichen Verdächtigen mit ihrem durchschnittlichem Keller-/Dachboden-/Speicher-Ballast und dem authentischen Wonnegfühl der Entschlackung, die habe ich in mein Herz geschlossen. Wie bei einem guten Konzert scheinen sich auch auf dem Recyclinghof die „good vibrations“ Einzelner auf irgendeine kosmische Weise zu addieren, selbst für die kurzen Augenblicke oder die wenigen Minuten des gleichzeitigen Loslassens. Das spürt man.

Ich möchte wetten, jeder zweite hätte in dem Moment, wo er in seinen komplett entleerten Kofferraum blickt, nicht das geringste dagegen, spontan umarmt zu werden und sich, den Freudentränen nah, gegenseitig zu reiben. Einfach nur so. (Wer sich also auf seine erste „Free Hugs“-Aktion in der Fussgängerzone vorbereiten will, der sollte auf einen Recyclinghof fahren, da herrschen optimale Bedingungen, eine Atmosphäre wie beim Höhentraining.)

Sollte ich den Blues haben, fahre ich ab sofort auf den Recyclinghof. Ich versenke irgendeinen Stapel Papier und gebe mich den positiven Schwingungen der Befreiten hin … bis mich der Orangene mit dem Schlüsselbund aus der Stimmung reisst: „Ey, Meista, wir ham jetzt Feia-Abend. Sie könn‘ ja morjen wiedakommen.“


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