„Vielen Dank für Ihre interessanten Gespräche“, sagt der Kellner

„Vielen Dank für Ihren Besuch und für Ihre interessanten Gespräche“, sagt unser Kellner. Er gibt uns den Beleg, den sein digitales Gerät, eine Art mobiler Bedien-Assistent, kurz zuvor ausdruckte, und er lächelt. Aber wie er lächelt: irgendwie so vieldeutig, ja, regelrecht überlegen. Hm. Wir nehmen unsere Jacken. Der Abend war nett, das Essen OK, wir haben uns gut unterhalten und … moment mal! Hat der eben gesagt „Vielen Dank für IHRE interessanten Gespräche“? Wie meint er das eigentlich? Der saß doch gar nicht dabei, war den ganzen Abend am Bedienen. Was sollte dieser Spruch dann?

„Hey, Freundchen, hör mal … “, will ich auf den Kellner zu, da hält mich meine Begleitung zurück: „Bleib ruhig. Ich hab‘ mir schon gedacht, dass Du es übersiehst. Aber lies mal hier“, auf einen DIN A3-großen Aushang unter der Tafel mit den Tagesangeboten hinweisend.

In weisser Schrift vor blauem Hintergrund stand dort ganz viel Text in ganz kleiner Schrift. Was auf den ersten Blick aussah wie die für Gaststätten obligatiorischen Jugendschutzbestimmungen, erweist sich auf den zweiten Blick als eine lange Liste von Nutzungsbestimmungen. Ich überfliege und ich lese, unter anderem: „Alle Inhalte der aufgezeichneten und gespeicherten Gespräche und Bilder dürfen vom Betreiber der Gaststätte genutzt werden, etwa für die Weitergabe an Werbepartner und zum Zwecke weiterer Auswertungen.“

„Wie bitte? Der Wirt hat uns fotografiert und unser Gespräch aufgenommen?“

„Nicht ganz“, sagt meine Begleitung, „er hat uns gefilmt. Und unsere Unterhaltung wird gerade transkribiert, also in eine Schriftform gebracht. Macht ’ne Spracherkennungs-Software, heutzutage kein Ding mehr, Fehlerrate unter 0,05 Prozent. Wesentlich kniffliger ist die Ent-Intimisierung unserer Unterhaltung, dafür braucht es sehr gute linguistische Algorithmen, die den Wortschatz …“– „Halt. Stopp!“ rufe ich dazwischen. „Was redest Du da: ‘Ent-Intimisierung‘ unserer Unterhaltung, deren Inhalte der Wirt benutzen darf, …“
„Naja, klar, wegen der strengen deutschen Datenschutzbestimmungen sind die Läden hier rechtlich gezwungen, die EIF‘s einzusetzen, also diese Ent-Intimisierungs-Filter. Zum Glück, kann ich nur sagen – denn diese ‘Aigner-Klausel‘ hat praktisch unser Start-up gerettet. Du weisst ja, unser ‘Lingu-Morph‘, diese nette kleine App zum sprachlichen Verzerren von Kurztexten, hat sich zwar anfangs gut verkauft, aber als dann … “.

Ich unterbreche den Redeschwall: „Jetzt hör doch mal auf, das geht mir zu schnell. Erstmal: Wer gibt diesem Gastwirt das Recht, uns zu filmen, uns zu belauschen?“
„Na, das warst Du selbst. Als Du die Bestellung angeklickt hast.“
Ich erinnere mich: Der Kellner hatte uns sein schickes Digital-Werkzeug hingehalten, auf dem Bildschirm waren sehr übersichtlich alle Getränke und Speisen verzeichnet, für die wir uns entschieden hatten. Find‘ ich gut, hatte ich noch gedacht, so lassen sich Missverständnisse beim Bestellen vermeiden. Unter der Bestell-Liste war ein grosses Kästchen neben einem Satz, der begann mit „Hiermit bestätige ich, dass ich die folgenden … “. Den hatte ich aber nicht zu Ende gelesen – und erst rech nicht den Absatz, der in sehr kleiner Schrift darunter stand.

Ich würde durch das Häkchen im Kästchen ‘der Bestellung zustimmen‘, hatte der Kellner kurz erklärt – oder hatte er doch ‘den Bedingungen‘ gesagt? Hm. Das Ganze erinnerte mich an die Expresskassen bei einem Möbelhaus, wo man seinen Kauf mit ec-Karte per Unterschrift auf einem Display bestätigt – und da auch irgendwas Kleingesetztes steht, was man nie liest. Tja, dumm gelaufen, ich habe offenbar explizit ‘ja‘ zum Belauschen gesagt, jedenfalls nach rechtlichem Verständnis.
„Mit diesem Häkchen hast Du zugestimmt, dass hier alles gespeichert wird, was Du sagst, was Du machst, was Du isst. Ausser die intimen Sachverhalte, die aber unsere Software … “ – „OK, schon gut, ‘EIF‘, ich hab’s mir gemerkt. Sag mir lieber, wieso ein Restaurant das alles macht, was wollen die mit den ganzen Texten und Bildern und Filmen von ihren Gästen?“

„Na, hör mal, wo warst Du denn in den letzten zwei Jahren, seit Facebook an die Börse gegangen ist?“

„Dauerte doch gar nicht lange, da hatten sie zwar 1 Millarde ‘Mitglieder‘, aber auch ein Problem: Den Rendite- und Wachstums-Hunger der Investoren. Wenn nämlich nahezu alle potenziell erreichbaren Menschen einen Facebook-Account haben, dann muss das Wachstum des Unternehmens aus der Vermehrung des eigentlichen Rohstoffs kommen: Den Aktivitäten auf den Facebook-Seiten, also Texte, Bilder und Videos, das audiovisuelle Sozialgeschnatter. Wenn die Menschen aber in den digitalen Lebensräumen nach Facebooks Vorstellungen ‘zu wenig‘ abbilden, ‘zu wenig‘ davon eintragen – und zwingen kann man dazu ja noch niemanden – dann muss Facebook nach seinem Rohstoff eben auch woanders schürfen: Im realen Leben. Facebook will, dass die Menschen sich mitteilen. Und das tun sie besonders gerne, wenn sie sich treffen, ob nun digital oder analog.“

Klar, denke ich, und wo erzählen sich die Menschen gerne und viel voneinander, wo diskutieren sie ihr privates und gesellschaftliches Zusammenleben? In Cafés und Kneipen und Restaurants und Clubs. So gesehen sind solche Ort die ideale Verlängerung des Facebook-Geschäftmodells.

„Und wer bereit ist, Facebook beim Rohstoff-Schürfen zu helfen, erhält Provisionen?“ „Ja, und zwar gekoppelt an das aufgezeichnete Volumen und an die etwaige erfolgreiche kommerzielle Weiterverwertung der Inhalte. Pro Person nicht viel, aber es läppert sich.“
Ich beginne zu begreifen. Und sehe den Begriff ‘Gast-Wirtschaft‘ plötzlich mit anderen Augen. Aus Neugier gehe ich noch einmal zum Eingang des Restaurants zurück, blicke in die Vitrine mit der Speisekarte. Und jetzt fällt es mir auch auf: das markante weisse ‘f‘ auf blauem Grund, das direkt neben den Logos von Kreditkarten und Bezahlsystemen prangt, samt aufklärender Fussnote ‘Nutzungsbedingungen‘. Hätte man sehen können … . Na, schön, aber mir wäre wahrscheinlich auch kein Licht aufgegangen wenn der Laden ‘Zuckerberg‘ heissen würde. Seufz.

„Komm, lass uns zusammen ein Taxi nehmen“, sage ich und halte in der schummerigen Strasse Ausschau. Ein paar Minuten später hält ein Wagen, wir steigen ein. Ich denke noch, dass dieses Taxi gar nicht die typische Eierfarbe hatte sondern dunkel aussah, da dreht sich der Fahrer auch schon um und fragt uns nach unserem Fahrtziel. „Oh, gut“, freut er sich, „wirtte schöne lange Fahrte. Ihr beide habte bestimmt ganz viel zu erzähle, viiiiiieeeeeel zu erzähle, nische wahre?“ Dabei hält er uns ein Display entgegen und bittet uns, das Fahrtziel zu ‘bestätigen‘, mit einem kleinen Häkchen, direkt neben den ‘Nutzungsbedingungen‘ … .

Na, toll!

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