Verbraucherschelte und Wettbewerbsverzerrung; nicht OK

Beim Aufeinanderstapeln von Milliarden-Umsätzen zeigt sich eine so genannte „Kreativwirtschaft“ gerne einig, um Kraft und Bedeutung zu demonstrieren. Doch mit dem Anprangern einer vermeintlichen Kostenlos-Mentalität ihrer Kunden und der Forderung nach einem Leistungsschutzrecht, das den Wettbewerb untereinander massiv verzerrt, entpuppt sich die an die Politik gerichtete Konstruktion „Kreativwirtschaft“ als wackeliges Lobby-Gerüst.

„Bei der BRAVO kann ich alle Artikel im Internet lesen, da kauf ich mir doch nicht das Heft. Ich meine, warum ist das im Internet umsonst, was ich am Kiosk kaufen muss? Die sind doch total bescheuert.“ Sagt meine Tochter. Eine der wenigen zwingenden Kaufgründe für die gedruckten Ausgaben von Magazinen, für die sie sich interessiert, sind Poster. Die gefalteten A3- oder A2-Drucke sind qualitativ gut, mit Klebefilm schnell aufgehangen – und dank vergleichsweise geringer Kosten auch ganz ohne Investitions-Reue ebenso schnell wieder entsorgt; die Halbwertzeit jugendlicher Begeisterung ist ja mitunter recht kurz.

Neuigkeiten zu den geposterten Filmen oder Bands Schauspielern oder Musikerinnen findet sie im Internet, auch via Twitter, SchülerVZ, Facebook, YouTube, seriöse Basis-Informationen über „Entertainment“ zieht sie sich unter anderem aus Wikipedia, der „Internet Movie Database (imdb.com)“ oder ähnlichen Seiten. Eine Bravo oder inTouch oder ähnlich positionierte Magazine sind für das eine wie das andere Bedürfnis – Anekdoten und Paparazzi-Fotos, Klatsch und Tratsch – nur diverse Quellen, aber auf keinen Fall die erste Wahl. Zumal gedruckte Zeitschriften keine Videos, etwa FilmTrailer oder Musikvideoclips anzubieten haben. Im Web sind sie einen Klick entfernt und quasi kostenfrei zugänglich.

Die kostenlosen Mitbewerber sollen der Grund sein für Verlage, ihre Online-Angebote eben nicht kostenpflichtig zu gestalten

Klar, die „klassischen Verlage“ wollen ihr Publikum nicht völlig an YouTube, Twitter, Fickr und und und verlieren. Wie erfolgreich sie damit sind und wie gut sich beispielsweise die Online-Bravo über Online-Werbung und Marketing-Kooperationen finanzieren und halten kann, weiss ich nicht zu beurteilen. Wenn jedoch Großverlage ordentliche Reingewinne vermelden, wie jüngst Bertelsmann oder Springer, ist für mich jegliche Jammerei über eine angebliche Medienkrise und die unmoralische Kostenlos-Mentalität junger Onliner nur lautes, unglaubwürdiges PR-Getöse.

Zum einen spielen ja die Verlage als Medienhäuser schon lange selbst auf der Kostenlos-Klaviatur, sogar länger als es das Internet gibt: So geben die genannten Großverlage auch regionale oder lokale, kostenlose Anzeigenblätter heraus, die sie den Verbrauchern bis in die Briefkästen schieben – im Grunde eine Art Supersize-„Spam“; auch die frei empfangbaren Kommerz-Fernsehsender („FreeTV“) sind ja kostenlos, ebenso die kommerziellen Radioprogramme, mehrheitlich in Hand großer Medienkonzerne. Und sie sind überwiegend profitabel, mal mehr, mal weniger, und wenn einmal nicht (mehr), dann werden sie ja auch abgeschaltet. Was soll also das Geheule über das ach so schlimme, vermeintlich kostenlose Internet?

Auch sind die Verbraucher sind sehr wohl bereit, für Medien und deren Inhalte zu bezahlen. Sie tun es ja längst, und zwar nicht zu knapp: Angefangen bei den obligaten GEZ-Gebühren und dem ebenfalls in nahezu jedem Haushalt installierten Telefonanschluss. Letzterer ist immer häufiger Teil eines Internet-Festnetz-Flatrate-Paketes; dazu kommen – auf einen Mehrpersonen-Haushalt gerechnet – mehrere Mobiltelefon-Konten. Doch das ist heute längst nicht alles, was Haushalte und Familien so für medienbasierte Kommunikation, Information und Unterhaltung ausgeben: Sie bezahlen Abonnements für Zeitschriften und Zeitungen – auch meine Tochter liest eine Jugendzeitschrift im Print-Abonnement – und sie bezahlen für zahlreiche Communities, von Schulklassentreffs über Online-Spiel-Welten bis hin zu Special Interest Foren, aber eben auch für kostenpflichtige Online-Magazin- und Zeitungs-Pendants; sie bezahlen für Internet-Services, etwa „Electronic Program Guides“ (EPGs), die TV- und Radio-Programme listen und entsprechende Aufnahmen unterstützen; sie bezahlen für Speicher-Platz („dropbox“, „mobile me“ oder ähnliches) oder für eigene Mini-Websites, um dort persönliche Fotos, Texte oder Tagebücher abzulegen, zu sichern und zu veröffentlichen.

Die Bereitschaft zum Bezahlen im Internet ist nachweislich vorhanden

Ebenso ist die Moral intakt, für Medienprodukte, für schöpferische Leistungen und aufwändige Produktionen, entsprechende monetäre Gegenleistungen zu erbringen. All diese genannten Ausgaben für – ich wiederhole – medienbasierte Kommunikation, Information und Unterhaltung, sind zunächst pauschalisiert, sprich Flatrates. Es liesse sich also konstatieren, dass die Verbraucher eine „Kulturflatrate“, naja, sagen wir mal eine MedienInformationsKommunikationsKultur-Flatrate an sich schon aufbringen, in der Summe pro Haushalt rund 100 Euro, mal ganz grob über den Durchschnittsdaumen gepeilt. Dazu kommt, dass diese Haushalte zusätzlich für Zeitungs- und Zeitschriften-Abonnements (auch meine Tochter hat ein Print-Magazin abonniert), für Bücher und DVDs, Musik-Downloads und CDs, Theater-, Kino- und Konzert-Tickets bezahlen, für letztere in ansteigenden Maßen und Summen.

Die Verbraucher zahlen also so einige Millionen, ja, Milliarden, in die Kassen der MedienInformationsKommunikationsKultur-Unternehmen. „Kreativwirtschaft“ heisst der dafür von Politik und Lobby-Verbänden vor über einem Jahr gefundene Sammelbegriff. Und damit diese Kreativwirtschaft auch als ebenso riesige wie wachstumsstarke Größe in Deutschland betrachtet werden kann, umfasst die politisch offzielle Definition dieser Kreativwirtschaft eben nicht nur die Urheber und Produzenten von schöpferischen Produkten, Inhalten und Dienstleistungen, sondern eben auch jene, die sie distribuieren und vermarkten, lizensieren und promoten: Also nicht nur Verlage, sondern auch Druckereien, nicht nur Programmanbieter sondern auch Sendeanlagen-Betreiber, nicht nur Studios sondern auch Kinos, nicht nur Musiklabels sondern auch Instrumente-Bauer und -Händler, nicht nur Unterhaltungs-Elektronik-Hersteller sondern auch Weisse-Ware-Grossmärkte, nicht nur Spiele-Entwickler sondern auch Spiel-Konsolen-Produzenten, nicht nur Suchmaschinen-Anbieter sondern auch Internet-Service-Provider, nicht nur Werbeagenturen sondern auch Online-Anzeigen-Vermarkter, nicht nur Smartfon-Hersteller sondern auch die Mobilfunk-Netzbetreiber, und so weiter und so fort.

Diese Kreativwirtschaft – sozusagen die Gesamtheit von Cebit, Funkausstellung und sämtlichen Medienkonferenzen und -preisverleihungen eines Jahres – jazzt sich einerseits gerne hoch zu einer der wichtigsten Wirtschaftskräfte überhaupt; OK, akzeptiert. Doch sie erhebt andererseits seit Jahren immer wieder den moralischen Zeigefinger gegen jene, von denen sie gut lebt und gut wächst und gut gedeiht; und lässt diesen Finger dann lautstark auf die „Werte“-Klaviatur niedergehen, um mit den Misstönen eines vermeintlich drohenden „Kulturverlustes“ nach Politik und Staat zu rufen; und genau das ist nicht OK, und auch nicht akzeptiert.

Wieso sollen die Milliarden, die Verbraucher sehr wohl flat als auch produktweise in die insgesamt wachsende Kreativwirtschaft hineinpumpen, angeblich nicht ausreichen?

Es fliesst genug Geld in die Kreativwirtschaft, nur sind dort neue „Player“ hinzugekommen: Hardware- und Software-Hersteller, Internet-Service-Provider und Netzbetreiber sowie Suchmaschinen- und Community-Dienstleister, die seit der Geburt des Internet vor immerhin mehr als 15 Jahren einfach cleverer waren als Musiklabels, Filmstudios und Verlage. Erinnern wir uns mal an die Zeit vor Internet und „digitaler Wirtschaft“. Da kontrollierten die Kreativ-Branchen ihre Vertriebs- und Marketing-Wege: Verlage besaßen Druckereien und Auslieferungen, Filmstudios besaßen Kinoketten und Videolabels, Musiklabels besaßen Presswerke samt Auslieferung. Äh, huch, das ist immer noch so? Nur beim Vertriebsweg Internet nicht? Jedenfalls nicht so richtig? Tja, was soll man als Verbraucher jetzt dazu sagen?

So einig, wie sie sich beim Aufeinanderstapeln ihrer Milliarden-Umsätze zwecks Bedeutungs-Demonstration zeigt, scheint sich die Kreativwirtschaft nicht zu sein, wenn es um die Verwendung dieser Erlöse geht. Stichwort: Leistungsschutzrecht. Im Kern geht es wohl um folgendes: Internet-Suchmaschinen und -Verzeichnisse, wie etwa google oder Yahoo, führen ja auf unterschiedliche Art die Internet-Nutzer zu jenen Inhalten, welche im Netz vorhanden und kostenfrei von den Medienhäusern bereitgestellt sind, wie etwa von Bravo und anderen Titeln. Diese wertvolle Navigations- und Sortierungs-Leistung lassen sich die Such-Dienste bezahlen, primär durch Anzeigenverkauf. Von diesen Erlösen wollen die Medienhäuser nun etwas abhaben. Nur wieso?

Es ist, als würden die privaten Fernsehsender Gebühren verlangen von Fernsehzeitschriften, wie etwa Hörzu oder TVdirekt. Schliesslich drucken diese Magazine ihr Fernseh-Programm und verkaufen drumherum Anzeigenplatz. Das läuft schon seit vier Jahrzehnten so – ganz ohne Ruf nach Leistungsschutzrecht. Stattdessen besaßen die Medienhäuser ja bald sowohl Fernsehsender als auch Programmzeitschriften. So flossen die unterschiedlichen Werbe-Erlöse in dieselbe Tasche. Und heute? Viele Verbraucher nutzen heutzutage eben keine Programmzeitschrift sondern einen digitalen „Electronic Program Guide“ (EPG). Der ist stets aktualisiert und verlinkt, personalisierbar und programmierbar, multimedial sowie auf Mobilgeräten verfügbar. Ein toller Dienst, für den ich per Jahresgebühr bezahle. So etwas sollten die Sender am besten selbst anbieten. Ach, machen sie ja bereits? Aber eben nur bei Fernseh-Programmzeitschriften.

Im Grunde will man also mit dem Leistungsschutzrecht einem dynamischen Teil der Kreativwirtschaft (originären Internet-Firmen) gut funktionierende Geschäftsmodelle per Abgaben einschränken lassen. Genau jene Geschäfte übrigens, welche ein anderer Teil der Kreativwirtschaft (Labels, Studios, Verlage) über Jahre verschlafen, ja, schlicht vermasselt hat. Doch, Moment mal, spricht daraus nicht eine klassische Wettbewerbs-Entwicklung? Freie Märkte, Innovation, Verdrängung – Kapitalismus, eben? Und jetzt soll ausgerechnet jener Staat, den die privaten Medienkonzerne so gerne aus ihren Märkten und Wettbewerben draußen halten wollen, dessen Beharren auf ein öffentlich-rechtliches Rundfunk-System den Verbands-Lobbyisten immer wieder ein Dorn im neoliberalen Auge ist, genau dieser Staat soll nun ein Leistungsschutzrecht in ein Gesetz giessen, das quasi den einen Teil der Kreativwirtschaft vor den Wettbewerbsaktivtäten des anderen schützt? (Schlimmer noch: Das Leistungsschutzrecht soll zudem auf Kosten der eigentlichen Urheber und Schöpfer – Autoren, Illustratoren, Fotografen etc. – die nutzungsrechtliche Position der Produzenten und Verwerter künstlich aufwerten.) Es zeigt sich: die offenbar für die Politik schnell zusammengeschweißte Konstruktion „Kreativwirtschaft“ präsentiert sich mit dem Ruf nach Regulierung und Wettbewerbseingriff als uneiniges Gebilde, als ein wackeliges Lobby-Gerüst.

Statt den sehr wohl für Produkte und Services zahlenden, Online-Anzeigen wahrnehmenden und abrechenbare Klicks ersurfenden Verbrauchern die Schuld an einer vermeintlichen Medienkrise und einem noch vermeintlicheren Kulturverlust zu geben, sollten sich die Akteure dieser „Kreativwirtschaft“ besser mehr mit sich selbst auseinandersetzen.

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