Alexander Peukert, wie ließe sich Geoblocking überwinden?

peukert-200px-150x150Dem Zugang zu Filmen oder Musik stehen oft Sperren entgegen, Dienste funktionieren durch sogenanntes Geoblocking nicht im Ausland. In der EU werden Reformen diskutiert, Kommission und Parlament arbeiten an Positionen. Urheberrechtler Alexander Peukert im iRights.info-Interview darüber, welche Regelungen dahinter stehen, wo Änderungen ansetzen könnten und über die Aussichten für ein europäisches Urheberrecht.

iRights.info: Im Berichtsentwurf zum Urheberrecht von Julia Reda für das EU-Parlament ist die Abschaffung des Geoblockings ein zentraler Punkt. Was sagt eigentlich das geltende Recht hierzu?

Alexander Peukert: Hier stellt sich mir als erste Frage, ob der Einsatz von Geoblocking-Technologien gegen die Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt verstößt. Immerhin gewährleisten die europäischen Verträge zum einen den europäischen Marktteilnehmern, dass sie die Märkte grenzüberschreitend betreten können – und zum anderen den Konsumenten, dass sie ohne nationale Grenzen konsumieren können.

Hierzu gibt es die „Murphy“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2011. Es ging dabei um Satellitendekoder zum Empfang von Pay-TV-Sendern. In diesem Fall hatte jemand einen für Griechenland vorgesehenen Dekoder in Griechenland zu dortigen Kosten gekauft und in seinem englischen Pub benutzt, um Premier-League-Fußball zu zeigen. Die englische Fußballliga und die Pay-TV-Sender, die englischen Fußball übertragen, hielten das für Urheberrechtsverletzungen.

Der Gerichtshof hat aber entschieden, dass die Verträge, mit der die Fußballverbände und Fernsehsender die territorialen Sendemärkte aufspalten wollten, unwirksam sind. Denn eine solch exklusive, absolut gebietsabhängige Regelung verstoße gegen die europäischen Grundfreiheiten und das Kartellrecht.

Es ist damit aber nicht gesagt, dass auch im Internet territoriale Marktaufspaltungen rechtswidrig wären. Im genannten Fall wurde der Dekoder in Griechenland ja legal angeboten und sollte „nur“ nicht in anderen Ländern verwendet werden. Doch bei den Online-Angeboten ist es ja mitunter so, dass einige legale Plattformen in manchen Ländern überhaupt nicht angeboten werden, was zunächst die Entscheidung der Rechte- und Lizenzinhaber ist.

Deswegen würde ich sagen, dass nach geltendem Recht diese territorialen Aufspaltungen der Online-Märkte – selbst wenn sie durch Technik praktisch verabsolutiert werden – nicht rechtswidrig sind.

iRights.info: Wie hängt Geoblocking mit dem Urheberrecht in den EU-Staaten genau zusammen?

Alexander Peukert: Gewiss liegt im Urheberrecht die Ursache für diese territorialen Begrenzungen. Die Online-Plattformanbieter können derzeit eben nicht ein Urheberrecht für die ganze EU erwerben, sondern sie müssen bei den Rechteinhabern 28 mitgliedsstaatliche Urheberrechte einkaufen. Das fällt ihnen zum Teil schwer, daher beschränken sie sich auf einzelne Länder – und die anderen bleiben dann zunächst außen vor.

Diese Probleme zeigen sich insbesondere im Bereich der Musik, weil die Rechte hier nicht bei den Plattenfirmen vollständig gebündelt sind, sondern zum Teil von den nationalen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden. Die Verwertungsgesellschaften wiederum sind in ihrem Territorium beschränkt auf ihr Heimatland und können deshalb nur nationale Lizenzen vergeben.

iRights.info: Der Reda-Entwurf schlägt vor, langfristig ein EU-Urheberrecht einzuführen.

Alexander Peukert: Dieser Vorschlag wird seit einigen Jahren bereits in der Wissenschaft diskutiert. Die Idee ist, dass die Europäische Union nichts anderes ist als die Bundesrepublik Deutschland oder die USA, wo es ein Territorium gibt, für das einheitliche urheberrechtliche Lizenzen erteilt werden.

Mit der Aufhebung der nationalen Urheberrechte und der Ersetzung durch einen einheitlichen EU-Titel würde man diesen Zustand erreichen. Man müsste aber zugleich verbieten, dass die Rechteinhaber die Lizenzverträge und Lizenzgebiete dennoch wieder vertraglich aufsplitten.

iRights.info: Sehen Sie dafür politische Chancen?

Alexander Peukert: Ich denke, die Mitgliedsstaaten scheinen kein überragendes Interesse zu haben, ihre Urheberrechtsgesetze aufzugeben. Allerdings müssten sie das ja tun, wenn ein europäisches Urheberrecht käme. Es ist schwer vorstellbar, dass wir ein EU-Urheberrecht haben, das automatisch, formlos entsteht und von Portugal bis Estland gilt, und gleichzeitig existieren noch 28 nationale Urheberrechte fort, die jedoch keinen anderen Inhalt haben könnten als das EU-Urheberrecht.

Nach meinem Verständnis bräuchte man also nicht nur eine Verordnung, die ein europäisches Urheberrecht schafft, sondern gleichzeitig eine Richtlinie, in der steht, dass die Mitgliedsstaaten ihre Urheberrechtsgesetze ab einem bestimmten Tag aufzuheben haben. Und über diese Richtlinie müsste gesprochen werden. Ob so ein Gebot zur Aufhebung der nationalen Urheberrechtsgesetze aber überhaupt von der EU erlassen werden dürfte, daran habe ich Zweifel.

iRights.info: Warum?

Alexander Peukert: Es gäbe dann eine Verpflichtung, nationale Eigentumstitel aufzuheben. Das EU-Recht lässt aber die Eigentumsordnungen der Mitgliedsstaaten unberührt. Das war schon Bestandteil der Verträge über die Europäische Gemeinschaft und steht unverändert ausdrücklich im Arbeitsvertrag der Europäischen Union. Da sehe ich zumindest einen potenziellen Konflikt.

Anders ist es im gewerblichen Rechtsschutz, bei Registerrechten wie Marken- und Designrechten. Hier gibt es bereits EU-weite Rechte, die vom Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Alicante vergeben werden. Daneben existieren die nationalen Registerrechte fort – in Deutschland verliehen vom Deutschen Patent- und Markenamt in München. Als Antragsteller hat man dann die Wahl, ob man sich auf einen Schutz in Deutschland beschränkt und folglich zum deutschen Patentamt nach München geht – oder ob man gleich einen Schutz für die gesamte EU anstrebt. Im formlos entstehenden Urheberrecht funktioniert dieses Nebeneinander von EU-Rechten und nationalen Rechten so aber nicht.

iRights.info: Also wäre ein einheitliches EU-Urheberrecht gar nicht denkbar?

Alexander Peukert: Undenkbar ist es selbstverständlich nicht. Abgesehen von den bereits erwähnten Kompetenzfragen wäre aber auch zu klären, wie ein solch einheitliches europäisches Urheberrecht aussehen soll: Orientiert es sich stärker am angloamerikanischen Copyright oder am französisch-deutschen „droit d’auteur“, dem „Urheberrecht“?

Dieser Frage ist der EU-Gesetzgeber bisher weitgehend ausgewichen, und hat die Punkte, bei denen es zum Schwur käme, außen vor gelassen, etwa das Urheberpersönlichkeitsrecht. Das sind wohl Fragen, die auch das kulturelle Selbstverständnis der Mitgliedsstaaten berühren. Und auch aus diesem Grund kann man Zweifel hegen, ob die EU die Kompetenz zur Schaffung eines solchen Unionsurheberrechts hat.

Schließlich kann ich momentan nicht erkennen, dass es einen politischen Willen gibt, ein EU-Urheberrecht samt der genannten Aufhebung nationaler Urheberrechte realisieren zu wollen.

iRights.info: Worauf beruht Ihre Einschätzung?

Alexander Peukert: Am 31. März 2015 wurde eine deutsch-französischeErklärung zum Urheberrecht veröffentlicht, unterzeichnet vom Justizminister Heiko Maas und der französischen Ministerin für Kultur und Kommunikation, Fleur Pellerin. Ich lese die Erklärung als Stellungnahme der beiden Länder zum Prozess der Urheberrechtsreform in der Europäischen Union.

Darin heißt es unter anderem, dass einerseits die Portabilität über die Grenzen der Mitgliedsstaaten hinweg befördert werden soll. Andererseits steht darin aber auch, ich zitiere: ‚Geschäftsmodelle, die auf der Territorialität von Rechten in Europa beruhen, sollten ebenfalls vollständig berücksichtigt werden.‘

Das kann nur heißen, dass die deutsche und die französische Regierung nichts an der Zersplitterung des Online-Markts ändern wollen. Sie wollen nichts daran ändern, dass die Rechtsinhaber die Märkte einzeln erschließen können und die Märkte auch einzeln vergütet werden.

Zugleich hat die EU-Kommission bereits signalisiert, dass es von ihr keinen Vorschlag für ein einheitliches EU-Urheberrecht geben wird, sondern dass man eher an der Harmonisierung über Richtlinien weiter arbeiten wird.

iRights.info: Sehen Sie den fehlenden politischen Willen in Bezug auf Deutschland oder die Europäische Union?

Alexander Peukert: Auf beide. Zunächst einmal müsste ja die EU-Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag machen, der auf ein einheitliches EU-Urheberrecht lautet. So etwas ist auch in der Kommission angedacht worden. Doch hat bereits ein Weißpapier, das am Ende der letzten Kommissionsperiode zirkulierte, von einem solchen Vorhaben Abstand genommen.

Und ich habe die bisherigen Äußerungen der jetzigen Kommission auch nicht so verstanden, dass man auf ein EU-Urheberrecht zusteuert. Und wenn man das würde, dann bekäme man offensichtlich von den Mitgliedsstaaten sehr starken Gegenwind, jedenfalls von der Bundesrepublik und von Frankreich.

iRights.info: EU-Kommissar Andrus Ansip sagt, er hasse Geoblocking.

Alexander Peukert: Es war die Äußerung eines einzelnen Kommissars, aber er spricht nicht für die EU-Kommission und schon gar nicht für andere europäische Institutionen oder für die Mitgliedsstaaten. Herr Ansip kann viel sagen, ohne dass hieraus unmittelbar etwas folgt.

iRights.info: Viele Rechteinhaber wie Filmproduzenten laufen Sturm gegen entsprechende Reformideen. Warum?

Alexander Peukert: Die Rechteinhaber gehen nach bisheriger Praxis davon aus, dass sie bei einer Aufspaltung der Märkte höhere Einkünfte erzielen können. Und zwar, weil sie in einem Markt, in dem die Konsumenten weniger aufwenden für Online-Dienste, möglicherweise auch geringere Gebühren verlangen als in anderen Staaten. Das ist einfach die Kalkulation, die da angestellt wird, um die Vermarktung feingliedrig zu steuern – und damit höhere Umsätze erzielen zu können, als wenn paneuropäisch eine einzelne Plattform bespielt würde.

iRights.info: Wenn weder die Politik noch die Verwerter es wollen, kommen die Nutzer also weiterhin nicht an die Inhalte, die eigentlich so nah vor ihnen liegen.

Alexander Peukert: In der Tat ist diese Art der Aufspaltung des EU-Binnenmarktes aus Sicht der Verbraucher eigentlich unzumutbar. Wenn wir die Europäische Union als integrierten Markt und auch als integrierten kulturellen Raum verstehen, dann ist es auf Dauer nicht akzeptabel, dass diese Online-Grenzen bestehen bleiben. Allerdings stehen hier Grundfragen der europäischen Integration im Raum.

iRights.info: Was bedeutet all das für Urheber?

Alexander Peukert: Ob die Urheber von der Aufspaltung der Märkte oder von paneuropäischen Lizenzen profitieren, das ist meiner Auffassung nach unklar. Man muss ja immer zwischen den Kreativen und den Produzenten unterscheiden. Die Aufspaltung des Marktes scheint aus Sicht der Produzenten – der Film-, Musik- und anderen Content-Produzenten – günstig zu sein. Ob das auch für die Urheber günstig ist, hängt davon ab, wie die Verträge zwischen den Urhebern und den Produzenten aussehen. Das ist eine ganz andere Frage.

Offenbar ungünstig ist die Aufspaltung für große Netzanbieter, Plattformbetreiber. Sie sind die sogenannten Intermediäre, die solche paneuropäischen Plattformen aufsetzen könnten, aber von den Rechtsinhabern den Content nicht bekommen.

Hier spielt sich ein Machtkampf zwischen den Content-Inhabern und den Plattform-Anbietern ab. Die Content-Inhaber wollen ihre Position dadurch stärken, dass sie es den global agierenden Intermediären schwerer machen, den Content zu bekommen. Und am schwersten machen sie es den großen Intermediären, wenn diese in jedes Land einzeln gehen müssen.

iRights.info: Geoblocking ist nur eines von vielen derzeit diskutierten Punkten. Der Reda-Entwurf schlägt zum Beispiel vor, die Panoramafreiheit anzugleichen. Worum geht es hier?

Alexander Peukert: Es geht darum, dass man als Tourist in einem europäischen Land Fotografien von urheberrechtlich geschützten Bauwerken macht und diese dann veröffentlicht, etwa auf seinem Facebook-Profil. Man denke beispielsweise an die Fußballarena in München, deren Außenansicht urheberrechtlich geschützt ist. In Deutschland ist es legal, vom öffentlichen Straßenraum aus Fotografien von solchen, urheberrechtlich geschützten Architekturwerken herzustellen und zu veröffentlichen.

Es gibt aber andere Mitgliedsstaaten, die eine solche Panoramafreiheit nicht kennen. Wenn ein Tourist ein Foto aus einem solchen Land ins Internet stellt, dann verletzt er die Rechte an diesem Architekturwerk. Denn das Foto kann im Prinzip auch im Urlaubsland abgerufen werden, wo solche Fotos nicht ins Netz gestellt werden dürfen. Das ist ein Problem der fehlenden Harmonisierung der Schranken des Urheberrechts, und der Bericht hat Recht, dass dieses Problem gelöst werden könnte, wenn eine Panoramafreiheitsschranke in allen Mitgliedsstaaten der EU gelten würde.

Allerdings ist das Problem möglicherweise kleiner als es nach dem Bericht von Julia Reda scheint. Denn wenn sie sich noch einmal vorstellen, dass ein deutscher Tourist auf seinem Facebook-Profil ein Foto eines – sagen wir mal – französischen Architekturwerks ins Netz stellt, dann werden durch dieses deutsche Facebookprofil die französischen Urheberrechte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allenfalls dann verletzt, wenn sich das Profil irgendwie an einen französischen Adressatenkreis richtet, also vermutlich in Frankreich wahrgenommen wird. Sonst ist das französische Urheberrecht von dieser Online-Aktivität gar nicht tangiert.

Und über diese Einschränkung auf der Ebene des sogenannten internationalen Privatrechts könnte der deutsche Online-Nutzer schon aus der Affäre herauskommen. Ein deutsches Facebookprofil tangiert nur das deutsche Urheberrecht, und das kennt eben eine Panoramafreiheit. Aber das bleibt zugegebenermaßen nur eine Notlösung, die langfristig unbefriedigend ist.

iRights.info: Also könnte eine europäische Richtlinie, die bindend für alle Staaten umzusetzen wäre, die Sache vereinheitlichen.

Alexander Peukert: Richtig. Diese Frage lässt sich durch eine Änderung der entsprechenden Richtlinie zum Urheberrecht aus dem Jahre 2001 bewerkstelligen. Und ich denke, in diese Richtung wird sich die politische Diskussion generell bewegen: dass das geltende Richtlinienrecht angepasst und weitergehend harmonisiert wird.

iRights.info: Gilt das auch für die im Entwurf vorgeschlagene Harmonisierung der Schutzfristen?

Alexander Peukert: Es gibt in der EU bereits eine Schutzdauer-Richtlinie, die eine vollständige Rechtsharmonisierung der Schutzdauern herbeiführt. Demnach dauert das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers fort. Auch die Schutzdauern der meisten verwandten Schutzrechte sind vollständig harmonisiert. Hier erkenne ich keinen Handlungsbedarf.

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Alexander Peukert ist Professor für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt internationalem Immaterialgüterrecht an der Goethe-Universität Frankfurt. Zuvor war er Referent und Leiter des USA-Referats am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München.

Dieser Beitrag ist ein Crosspost von iRights.info vom 29.4.2015